Disziplinierung durch politisierte Medizin?

 Die Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten in den iberischen Diktaturen des 20. Jahrhunderts

 

Zahlreiche medizinhistorische Arbeiten haben in Fallstudien vor allem am Beispiel der DDR, aber auch verschiedener anderer Diktaturen Osteuropas, die Maßnahmen zur Bekämpfung und Eindämmung von Geschlechts-krankheiten in autoritären Regimen nach dem Zweiten Weltkrieg unter mikrogeschichtlicher Perspektive untersucht. Dabei konnte gezeigt werden, dass mutmaßlich an einer Geschlechtskrankheit leidende Personen in geschlossenen venerologischen Stationen, Fürsorgeheimen oder vergleich-baren Einrichtungen isoliert wurden. Dort erfolgte oftmals durch medizinisch nicht indizierte und teils fragwürdige Behandlungsmethoden sowie ideologischen Drill eine radikale Disziplinierung. Diese hatte zum Ziel, dass von den Patientinnen und Patienten und ihrer als deviant angesehenen Lebensweise nach der Entlassung keine Gefahr mehr für die sozialistische Gesellschaft ausgehen sollte. Die Opfer wurden dadurch häufig nicht nur körperlich, sondern vor allem auch psychisch geschädigt. Demzufolge sind die ergriffenen Maßnahmen als Repressionsmittel anzusehen, durch die Menschen, deren Lebensweise nicht mit der Ideologie des jeweiligen Regimes im Einklang stand, unterdrückt und gesellschaftlich ausgegrenzt werden sollten.

 

Von den bisherigen Erkenntnissen ausgehend untersucht dieses Projekt entsprechende Einrichtungen zur Bekämpfung von sexuell übertragbaren Krankheiten in den iberischen Diktaturen der zweiten Hälfte des 20. Jahr-hunderts. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob bzw. in welcher Form auch in diesen autoritären Regimen versucht wurde, durch politisierte Medizin als nicht systemkonform eingestuftes Verhalten zu sanktionieren. Dabei gilt es zum einen, Parallelen aufzuzeigen, zum anderen soll aber auch heraus-gearbeitet werden, wie sich sozio-politische Besonderheiten – beispielsweise die große Bedeutung des Katholizismus in Südeuropa – auf die angewandten Repressionsstrategien auswirkten. Beginnend mit Madrid und Barcelona werden zunächst Einrichtungen zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten in Spanien während der Diktatur Francisco Francos (1939-1975) in den Blick genommen, um zu untersuchen, ob es diesbezügliche Repressionen gab und diese in Regionen mit sehr starken autonomen Bestrebungen wie Katalonien stärker waren als in anderen, zentralistisch geprägten Landesteilen Spaniens. Anschließend erfolgt ein transnationaler Vergleich mit dem von António de Oliveira Salazar Mitte der 1930er Jahre errichteten „Estado Novo“ in Portugal.


Die Quellenbasis dieses Projekt bilden amtliche Quellen wie etwa die Akten der jeweiligen Gesundheitsministerien, Stadtverwaltungen und zuständigen medizinischen Einrichtungen sowie nichtamtlichen Quellen wie Briefe, Fotos und Zeitungsberichte. Außerdem ist die Durchführung von narrativen Zeitzeugeninterviews geplant.


Insgesamt soll dieses Projekt, das am dem von Prof. Dr. Florian Steger geleiteten Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der Universität Ulm durchgeführt wird, die zeithistorische Forschung zur Repressionsgeschichte iberischer Diktaturen um einen zentralen medizinhistorischen Aspekt ergänzen und darüber hinaus einen Beitrag zur transnationalen Medizin- und Sexualgeschichte des 20. Jahrhunderts leisten.

 

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